Self Profiling
Gesichter Im Spiegel
Auf den Abbildungen sind Gesichter zu erkennen: Augen, Nasen, Münder, Ohren. Darüber Haare. Was wir nicht erkennen können, sind Farben, Haar- und Hautfarben. Beim näheren Betrachten der Porträts sehen wir unwillkürlich auch in unser eigenes Gesicht. Es scheint mit dem anderen zu verschmelzen, denn die Gesichtsschemen sind von dem Kasseler Künstler Zaki Al-Maboren auf einem spiegelnden Untergrund aufgebracht.
Dies könntest auch Du sein, suggeriert das Abbild.
„Self-Profiling“ nennt der 1959 im Sudan geborene Künstler seine Spiegel-Porträts. Sie sind stereotyp, wiederholen sich in beklemmend gleicher Weise: Schwarze Menschen werden von ihnen unbekannten weißen Menschen brutal ermordet. An verschiedenen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten. Doch das Muster ist einheitlich. Was die Opfer eint: Sie waren Schwarz.
Unter den Spiegel-Porträts sind biografische Angaben der Abgebildeten zu lesen.
Etwa zu Amadeu Antonio Kiowa.
Er war ein aus Angola stammender Arbeiter, der mit seiner Freundin in Eberswalde lebte. Die beiden erwarteten 1990 ein Kind. In der Nacht vom 24. auf den 25. November 1990 traf Amadeu in der brandenburgischen Stadt Eberswalde auf eine Gruppe neonazistischer Skinheads und wurde von Mitgliedern dieser Gruppe brutal zusammengeschlagen. Er erlitt schwerste Kopfverletzungen und erwachte nicht mehr aus dem Koma. Am 6. Dezember starb er im Alter von 28 Jahren an den Folgen der Attacke, wenige Wochen vor der Geburt seines Sohnes.
Ein Jahr später kam auch der Schwarze Jorge Gomondai ums Leben. Eine Gruppe von 14 rechtsgerichteten Jugendlichen schlug ihn während einer nächtlichen Straßenbahnfahrt in Dresden zusammen und warf ihn aus der Tram, sodass er später an seinen schweren Kopfverletzungen verstarb. Warum Amadeu Kiowa, Jorge Gomondai und viele andere Opfer rassistischer Attacken die Aufmerksamkeit ihrer Mörder auf sich gezogen hatten? Weil sie Schwarz waren. Wären es weiße Menschen gewesen, wären sie wahrscheinlich noch am Leben. Auch bei den anderen Porträtierten handelt es sich um Menschen, die von rassistischen Weißen brutal geschlagen und ermordet wurden, allein deshalb, weil sie durch ihre Hautfarbe aufgefallen waren.
Dies könntest auch Du sein, suggeriert „Self-Profiling“. Aber ist das so? Ein weißer Mensch empfindet vielleicht Empathie, aber kann er sich auch in die Haut eines Schwarzen hineinversetzen? Er hat nie die Erfahrungen gemacht, denen Schwarze durch alltäglichen Rassismus in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind. Ein weißer Mensch hat nie Angst vor rassistischen Übergriffen aufgrund seiner Hautfarbe erlebt.
Die deutsche Autorin Alice Hasters schreibt in ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“:
„Rassismus ist ein System, das mit der Absicht entstanden ist, eine bestimmte Weltordnung herzustellen. Es wurde über Jahrhunderte aufgebaut und ist mächtig. Darin wurde die Hierarchie rassifizierter Gruppen festgeschrieben, und die lautet ganz grob so: Weiße ganz oben, Schwarze ganz unten. Wenn also jemand glaubt, Schwarze seien von Natur aus Weißen überlegen, dann ist das zwar theoretisch ein rassistischer Gedanke – aber praktisch ein recht wirkungsloser. Dafür gibt es keine Echokammer, dieser Gedanke wird sich nicht in der Welt widerspiegeln. Anders ist es, wenn jemand glaubt, weiße Menschen seien Schwarzen überlegen. Diese Vorstellung füttert das ohnehin bestehende System. Die Echokammer dafür ist riesig. Dieses System nennt sich White Supremacy – weiße Vorherrschaft. Wenn ich von Rassismus spreche, dann meine ich diesen wirkungsvollen, systemischen Rassismus, der die Fähigkeit hat Menschen zu unterdrücken. Dieser Rassismus steckt überall.“
Nachdem der Afroamerikaner George Floyd im Mai 2020 bei einer gewaltsamen Festnahme von einem Polizisten in Minneapolis getötet wurde und weitere brutale Morde an Schwarzen durch weiße Polizisten die Öffentlichkeit erschütterten, hat die Bewegung „Black Lives Matter“ eine neue, internationale Dynamik bekommen. Die Proteste und Demonstrationen richten sich gegen Polizeigewalt und Rassismus als System.
Zaki Al-Maboren verweist mit seiner künstlerischen Arbeit zurück auf den einzelnen Menschen und damit auf jeden von uns.
Christina Hein